«Je ne veux pas gagner ma vie, je l’ai.» Boris Vian, L'écume des jours

6/23/2015

gelesen und ...

Xu Lizhi war Wanderarbeiter bei der chinesischen Firma Foxconn, wobei Firma vielleicht noch das geschönte Wort ist. Er entschloss sich für ein Leben in der Stadt, zog fort und hin und jeder Schritt brachte ihn tiefer, im Lieben, aber auch in seiner Poesie, in der er sich als einzigem wiederfand. Der 24 jährige nahm sich am 30. September 2014 das Leben und sprang aus einem Fenster eines Einkaufshauses, das, im Gegensatz zu vielen anderen, noch nicht mit einem Sicherheitsnetz umzäunt war, wie ein Zoo, in dem die Wärter die verschreckten Tiere vor der Flucht bewahren wollen. Licht sprang und fand wieder zu sich selbst, eine traurige Wahrheit, die am Wochenende in einer Reportage in de SZ zu lesen war. Die Umstände in den chinesischen Großkonzernen, in denen wir unser Apples und iPhones fabrizieren lassen, sind mir durchaus bekannt, aber daran denken tut man nicht ständig, erst recht nicht beim nächsten Kauf. Da muss einen dann erst das Wort wieder aufrütteln und verstummen lassen.
Wenn ich so etwas lese, möchte ich, und das klingt naiv, die Revolution anzetteln oder im Boden versinken und den Kopf schütteln. Ein Gefühl von taubem Unverständnis, das einen lähmt und von Ärgernis, die einem Kraft gibt. Und durch das Unverständnis fühlt man sich auf einmal auch wieder mit der Welt verbunden, erwacht aus den Gedankenwelten, in denen man sich üblicherweise befindet, aus den Welten, in denen man arbeitet oder lebt. Diese sind gut und wichtig und auch notwendig, damit eine Welt so funktioniert, wie sie funktionieren kann oder könnte, aber plötzlich fühlt man sich hilflos oder ohnmächtig allem gegenüber, möchte Fragen stellen, Antworten hören und eigentlich nochmals Fragen stellen, da die meisten Antworten keine Antworten sind, sondern nur Aufschübe.

Ich schluckte einen eisernen Mond
Sie nennen es eine Schraube
Ich schluckte die Fabrikabwässer
Die Arbeitslosenpapiere
Die Jugend, vor die Maschinen gebückt
Stirbt vor ihrer Zeit
Ich schluckte die Schufterei
Ich schluckte das verrostete Leben
Jetzt kriege ich nichts mehr runter
Alles, was ich geschluckt habe
Quillt aus meinem Rachen hervor
Ergießt sich über dem Land meiner Vorfahren
In ein schändliches Gedicht


Gedicht von Xu Lizhi (das dieser nun im Nachhinein als einen der großen der chinesischen Poesie gefeiert wird, ist auch immer wieder erstaunlich, postmortem erst erwachen die anderen zum Leben oder er vielleicht auch, der im Grunde gar nicht herauswollte vielleicht aus seinem Leiden)

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