«Je ne veux pas gagner ma vie, je l’ai.» Boris Vian, L'écume des jours

1/04/2012

graphische novelle - gehobene verbildlichung

Als Comics für Erwachsene, wie es im alltäglichen Sprachgebrauch an der Buchladentheke auch heißen mag, bezeichnet die Graphic Novel den Zeitpunkt, ab dem der Comic auf die Ebene des Romans gehoben wurde und damit sich das Ganze nicht mehr so banal anhört, musste ein neuer Name her. Dem Comic für Erwachsene soll Legimität verschafft werden und wenn man die Neuerscheinungen unter dieser Rubrik im letzten Jahr beobachtet, hat es auch funktioniert. In Frankreich steht der Comic schon immer als eigenständige Kunstform da, in Deutschland war es jahrelang anders, Comics, zumindest was die meisten darunter verstehen, waren ausschließlich Mickey Mouse, Donald Duck, Lucky Luke, ihrgendwelche Horros uns Scienc-Fiction Sachen etc. Ich kenne selbst nicht sehr viele Graphic Novels (die erste, das werde ich allerdings nicht vergessen, war Maus von Art Spiegelman, bis heute einer der bekanntesten Comic-Autoren), aber seitdem Persepolis um 2004 (?) auch nach Deutschland kam, scheint das Interesse geweckt. Danach kam der Film, nun der zweite zu Huhn mit Pflaume und so viele Neuerscheinungen von Bildbüchern wie in diesem Jahr, habe ich in den Buchhandlungen noch nie gesehen. Beim Blick auf die Titel wird auch schnell klar, weshalb die Graphic Novels sich von den als "banaler" bezeichneten Comics abheben wollen, die Themen sind politisch, sozial und gesellschaftlich engagiert und brisant, nimmt man beispielsweise Art Spiegelmans Im Schatten keiner Türme. Spiegelman kennt sich aus mit Themen, die die Gesellschaft nur schwer verarbeitet und mit denen sich auch die Kunst schwer tun kann. 10 Jahre nach den Anschlägen des 11. September wird sein Comic nun als erste begreifbare künstlerische Verarbeitung gefeiert. Direkt daneben stand im Regal jemand, der sicherlich auch einiges zum Thema hätte sagen können, Nietzsche. Nietzsche als Comic, da denke ich zunächst, ähnlich dem Titel dieser Rezension, an Popkultur-Vereinfachung, aber beim Durchblättern des französischen Comics von Michel Onfray & Maximilien le Roy ist dem nicht mehr so. Natürlich ist es vielleicht einfacher in dem Comic zu Blättern, als Also sprach Zarathustra zu lesen, aber es geht in erster Linie auch um Neuinterpretation, Remedialisierung der Philosphie Nietzsches in Wort und Bild.
Bref, das alles, um zu sagen, dass ich nun meine, genau genommen, zweite, Graphic Novel gelesen und gesehen habe. Und wo gerade auf dem Schreibtisch genügend andere Lektüre liegt, ein besondere Freude. Polina erzählt die Geschichte der fiktiven russischen Tänzerin Polina Ulinow, vom Anfang in der Ballettschule der Oper bis zu ihrem Weg nach Berlin und hin zum modernen Tanztheater. Die Bilder sind schwarz-weiß, aber an Farbe fehlt es nicht und der (mal wieder) Franzose Bastien Vivès weiß, das unwichtige rauszulassen, um die relevanten Zeichenstriche beizubehalten. Unter den jungen Rats-de-l'opéra, ist Polina die einzige, die ausdefinierte Züge hat, große Segelohren, ein markanter Körper. Oft sind andere Charaktere oder unwichtige Räume, Objekte und Details überhaupt nicht ausgezeichnet (im technischen Sinne). Wer ein bisschen von Ballett versteht und ein paar Namen kennt, kommt nicht umhin, dieses russische Ausnahmtalent ("Beweglichkeit und Grazie hat man, oder nicht") mit der Solotänzerin Polina Semionova des Staatsballetts Berlin zu vergleichen, von der Vivès sich hat inspirieren lassen. Haare, Augen, Figur, da stimmt so einiges. Die reale Tänzerin Semionova war davon zunächst nicht begeistert und hatte Befürchtungen, man würde dies nun als ihre Geschichte verstehen. Und wie ist der Zeichner auf Semionova gestoßen? Ein Klassiker: Er sah sie wie so viele in Herbert Grönemeyers Video Demo und verliebte sich sofort.

"Im Schatten keiner Türme" von Art Spiegelman, "Huhn mit Pflaume" von Marjane Satrapi und "Nietzsche" von Onfray und Le Roy.
"Im Schatten keiner Türme" bei ZDF-Aspekte

Trailer zu "Huhn mit Pflaume"

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